Corona und der Prinz, ein Volksmärchen aus unserer Zeit

Ein Volksmärchen aus unserer Zeit

Es war einmal eine schöne, kerngesunde Prinzessin namens Corona. Sie lebte in einem prachtvollen Schloss, das umgeben von einem großen, unheimlichen Wald war.

Abseits des Schlosses, inmitten des dunklen Waldes, lebte eine Hexe in einem alten, verwitterten Hexenhaus. Ihr Name lautete Fledura. Die Hexe Fledura litt unter einem starken Husten. Egal ob sie wach war oder schlief, ständig wurde sie von Hustenanfällen geplagt. Einmal in der Woche ging die Hexe zum Schlosshof auf den Markt, um dort Ingwerwurzeln für ihren Hustensaft zu kaufen. Sie keuchte und hustete unentwegt. Der Weg dorthin strengte sie immer sehr an. Am Schloss angekommen sah sie jede Woche die putzmuntere, kerngesunde Prinzessin auf dem Balkon herumspringen. Sie spielte dort oben allein oder mit ihrem besten Freund, Prinz Impfi.
Die Hexe wurde immer wütender und fluchte vor sich hin: „Ich huste mir hier die Seele aus dem Leib und dieses Ding springt ständig mit ihren roten Wangen, kerngesund und voller Freude vor meiner Nase herum. Das kann doch wohl nicht wahr sein!“ Sie kochte innerlich vor Wut.

Als sie eines Nachts mal wieder wegen ihres ununterbrochenen Hustens nicht schlafen konnte, dachte sie an Prinzessin Corona und fasste einen schrecklichen Entschluss:

„Corona, Corona, du Quelle der Gesundheit.
Corona, Corona, das ist eine Frechheit.
Corona, Corona, deine Kraft sollst du an mich geben
und mit meinem Husten von nun an für immer leben.“

Eines Tages, als der Prinz Impfi das Schloss verließ, um Blumen im Wald für seine Freundin zu pflücken, nutzte Fledura die Gelegenheit und verwandelte sich in eine Hofdame. So lief sie unerkannt ins Schloss. Die Hexe hastete zum Wohnturm des Schlosses, rannte keuchend die Treppe hoch direkt zum Gemach von Corona. Dort angekommen unterdrückte sie den nächsten Hustenanfall und klopfte an die Tür. Mit heller Stimme sprach sie: „Prinzessin, ich bin es, deine Hofdame.“ Doch niemand antwortete. Da betrat Fledura leise das Zimmer und sah, dass Corona tief und fest schlief. Das war ihre Chance. Die Hexe schlich zum Bett, stellte sich dicht an das schlafende Mädchen und krakeelte:

„Corona, Corona, Husten in deinen Mund,
dann werde ich gesund.
Prusten sollst du nun
und die Gesundheit in mir ruh‘n.“

Zum Schluss hustete Fledura die Prinzessin dreimal kräftig an und verschwand wieder unerkannt im Wald.

Als der Prinz mit seinem Blumenstrauß ins Schloss zurückkam, kam ihm Corona entgegen. Sie hustete so schlimm wie noch nie zuvor in ihrem Leben. „Was ist mit dir los? Du warst doch noch nie krank,“ fragte der Prinz besorgt. Corona konnte vor lauter Husten nicht antworten. In den nächsten Tagen probierten die beiden viele Mittel aus, damit der Husten verschwand. Heißer Tee mit Honig, zermahlene Ingwerknolle, Zwiebelsud – nichts konnte der kranken Prinzessin helfen. Ihre Wangen waren nicht mehr rosarot. Sie wurde immer bleicher.

Prinz Impfi machte sich große Sorgen um sie. Am siebten Abend ging er verzweifelt auf sein Zimmer. Da erschien ihm plötzlich eine Fee, reichte ihm wortlos einen Zettel und verschwand wieder. Impfi las:

„Der Husten ist zu heilen.
Es gilt sich zu beeilen.
Nur bis zum 13. Morgen
sind diese drei Stoffe zu besorgen:
eine goldene Alge, eine Drachenschuppe und Wasser aus der Quelle des Riesen. Mache dich dann damit auf zum Ursprung des Hustens – zur Hexe Fledura.“

„Oh nein!“, dachte Impfi, „Sieben Morgen sind schon vergangen. Ich muss mich schnell auf den Weg machen.“ Der Prinz holte sein Schwert, packte Brot, einen Krug mit Wasser und einen Hühnerbollen in seine Ledertasche und lief in den Wald. Dort setzte er sich auf einen Baumstumpf, um nachzudenken. Er grübelte, wo er eine goldene Alge finden könnte. Dabei dachte er an die Fee und hatte einen Geistesblitz: „Die Leute erzählen doch, dass der Grund des Feensees trotz seiner Tiefe golden glänzt. Das kann doch nur von goldenen Algen kommen.“ Schnell machte er sich auf den Weg. Am See angekommen legte er Schwert und Ledertasche ab und sprang sofort ins Wasser. Bei seinem ersten Tauchversuch sah er nur Dunkelheit um sich. Er versuchte es abermals und kam dieses Mal etwas tiefer. Dabei sah er ein goldenes Schimmern. Das musste die Alge sein. Er reckte und streckte sich, kam aber nicht heran und musste wieder auftauchen, um nach Luft zu schnappen.

Da kam ihm eine Idee. Er ergriff sein Schwert und tauchte voller Elan unter. Diesmal gelangte er schnell in Richtung des goldenen Scheins, streckte sein Schwert aus und zupfte damit vorsichtig die goldene Alge vom Grund. Langsam tauchte er auf. Das war geschafft. Erschöpft schlief er am Ufer des Feensees ein.

Als er am frühen Morgen erwachte, trat die Fee abermals zu ihm. Sie wisperte: „Die erste Prüfung hast du bestanden, doch sei dir gewiss, einfach wird es nicht. Acht Morgen sind vorbei. Du hast nur noch wenig Zeit, die Stoffe im Kessel der Hexe Fledura zusammenzubrauen.“ Da verschwand die Fee wieder. Der Prinz setzte sich ans Ufer des Feensees und grübelte abermals: „Wo bekomme ich auf die Schnelle eine Drachenschuppe her? Wo finde ich nur einen Drachen?“ Nach einer Weilekam ihm ein guter Gedanke: „In der Drachenhöhle oben am Berg werde ich bestimmt fündig. Doch der Aufstieg wird steil und anstrengend. Hoffentlich schaffe ich es rechtzeitig.“ Impfi rannte sofort los, um keine Zeit zu verlieren. Als es dämmerte, kam er an der Höhle an. Er schlich hinein. Zum Glück schlief der Drache schon. Impfi schlich immer näher an ihn heran. Auf einmal knackste es laut. Der Prinz war auf einen herumliegenden Ast getreten. Der Drache schreckte hoch und fauchte: „Mami, lass mich noch etwas schlafen,“ und schlief wieder ein. Impfi war erleichtert und näherte sich weiter dem großen Tier. Schnell schnitt er dem schlafenden Drachen mit seinem Schwert eine Schuppe ab und verschwand eilig aus der Drachenhöhle. Nachdem er den Berg hinuntergeklettert war, schlief der Prinz beruhigt ein.

Im Morgengrauen trat wieder die Fee zu ihm und flüsterte: „Die zweite Prüfung ist geschafft. Doch die schwerste steht dir noch bevor! Sei dir gewiss, einfach wird es nicht. Der zehnte Morgen ist angebrochen. Du hast nur noch wenig Zeit, die Zutaten im Kessel der Hexe Fledura zusammenzubrauen.“ So schnell wie die Fee gekommen war, war sie auch wieder verschwunden. Prinz Impfi machte sich auf in Richtung des Riesen-Waldes. Den Weg dorthin wusste er. Er war eigentlich verboten zu gehen. Kein Mensch, der sich dorthin aufgemacht hatte, war jemals zurückgekehrt. Als Impfi im Wald des Riesen ankam, musste er den Riesen nicht lange suchen. Wegen seiner Größe war er schnell zu erblicken. Er lag schlafend vor dem Eingang seiner Höhle. Impfi wusste, dass der Riese seine Heilwasserquelle gut bewachte. Wie sollte er herausfinden, wo sie sich befand? Sollte er den Riesen befragen? Das war keine gute Idee. Impfi lauschte. Er hörte ein Rauschen. Das war nicht das Schnarchen des Riesen. Das Geräusch kam aus der Höhle. Das musste die Quelle sein. Doch wie sollte er am schlafenden Riesen vorbeikommen? 

Impfi hatte eine Idee: „Ich habe doch noch den Hühnerbollen dabei.“ Der Prinz holte ihn aus seiner Tasche, kletterte an einem Baumstamm hoch und befestigte ihn in der Baumkrone. Als der Riese aufwachte, roch er sofort das gebratene Hähnchenstück. Er trottete los. Impfi war begeistert. Sein Plan ging auf. Der Riese verließ den Höhleneingang und versuchte den Hühnerbollen zu bekommen. Impfi hastete, so schnell er konnte, in die Höhle. An der Quelle schüttete er sein Trinkwasser aus seinem Krug, befüllte ihn mit dem Zauberwasser der Riesenquelle, verstaute alles in seiner Ledertasche und verschwand so schnell wie möglich aus dem Wald des Riesen hinein in den Wald der Menschen. Erschöpft schlief er ein.

In den Morgenstunden trat ein letztes Mal die Fee zu ihm und hauchte: „Die dritte Prüfung ist geschafft. Alle Stoffe sind beisammen. Der 12. Morgen ist angebrochen. Beeile dich. Du hast nur noch wenig Zeit, die Stoffe im Kessel der Hexe Fledura zusammenzubrauen. Sonst ist die Prinzessin verloren.“

Der Prinz nahm Schwert und Ledertasche und machte sich auf den Weg zum Hexenhaus. Doch wie sollte er hineinkommen, ohne von der Hexe versteinert oder auch mit Husten angesteckt zu werden? Sie war der Grund des Hustens der Prinzessin. Die Hexe war böse und gefährlich. Impfi horchte. Von innen hörte er ein lautes Knurren. Das war der Magen der Hexe. „Was kann ich noch essen? Ich habe nur noch trockene Fledermauskrallen,“ hörte der Prinz die Hexe sprechen. Fledura war zwar gesund geworden, aber seitdem unglaublich hungrig. Da hatte er eine Idee. Impfi nahm sein herrlich duftendes Brot, befüllte es mit Steinen und legte es vor die Tür des Hexenhauses. Der Prinz versteckte sich hinter einem Baum und warf von dort aus Steinchenan die Tür, bis Fledura nach draußen trat. Sie erblickte das Brot. Hungrig griff sie es und verschlang es mit einem Biss. 

Die Steine versperrten ihr den Atem und sie sackte zusammen. Der Prinz schlich an der ohnmächtigen Hexe vorbei ins Haus, zündete den Kessel an und braute aus den drei gesammelten Stoffen einen Trunk gegen Coronas Husten. In der Morgendämmerung des dreizehnten Morgens traf er mit dem Gebräu – nach ihm ‚Impfstoff‘ genannt - am Schloss ein. Dort erzählte man ihm, dass es der Prinzessin so schlecht ging, dass sie mit dem Husten nicht mehr lange leben konnte. Impfi erschrak und eilte in Coronas Zimmer. Dort verabreichte er ihr Schluck für Schluck den Trunk. Schlagartig ging es der Prinzessin besser. Corona hörte auf zu husten. Ihre Wangen wurden wieder rosarot. „Was hast du mir zu trinken gegeben?“, wollte sie vom Prinzen wissen. Impfi antwortete: „Ich nenne es ‚Impfstoff‘.“


Und wenn sie nicht gestorben sind, leben Impfi und Corona noch heute glücklich und kerngesund zusammen. Die Hexe Fledura hört man noch heute husten, weil sie versucht, die Steinchen aus ihrer Lunge zu bekommen.

Felix Rupieper, Klasse 5c
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